Selbstbestimmungsrecht und Zwangsbehandlung im Betreuungsrecht

Betreuungsrecht

1. Das Gericht hält an seiner vor Kurzem (im Beschluss vom 26.6.2012, 14 XVII 990/08) ausführlich begründeten am Selbstbestimmungsprinzip ausgerichteten verfassungskonformen Auslegung des § 1906 Abs. 1 Ziff. 2 BGB auch nach Bekanntwerden der Beschlüsse des Bundesgerichtshofs (vom 20.6.2012, XII ZB 99/12 und XII 130/12) fest.

2. Hiervon abzuweichen gibt die neue Rechtsprechung des BGH schon deshalb keinen Anlass, weil sie im Gegensatz zu den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug keine eigenständige Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 1906 Abs. 1 Ziff. 2 BGB enthält.
Vielmehr geht der Senat davon aus, die Anforderungen an die Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug seien ungeprüft auf das Betreuungsrecht zu übertragen und schon die bloße Abweichung führe zur Verfassungswidrigkeit.

3. Eine eigenständige Prüfung der Norm unter Beachtung der Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug (Beschluss v. 23. März 2011 - 2 BvR 882/09) ergibt, dass diese im Betreuungsrecht nur teilweise gelten und im Übrigen durch die dort bereits bestehende Genehmigungsregelung erfüllt bis übererfüllt werden.

4. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz vor. Anders als im Maßregelvollzug richtet sich für die Entscheidungsträger der Unterbringungseinrichtung im Betreuungsrecht das jeweils Erlaubte nicht direkt nach dem Gesetz sondern nach seiner Anwendung durch Betreuer, Verfahrenspfleger und Gericht im Genehmigungsverfahren. Für diese ist die Norm aber im Wesentlichen klar. Nachdem sie schon bei ihrer Einführung gerade als fortschrittliche Regelung der Anstaltsverhältnisse verstanden wurde und nicht etwa als Abschaffung der Zwangsbehandlung, hat das Fehlen einer ausdrücklichen Erwähnung der zwangsweisen Durchsetzbarkeit der Heilbehandlung keine entscheidenden Unklarheiten hervorgerufen.

5. Das gilt nicht zuletzt für den Untergebrachten selbst. Gerade weil er erkennt, dass mit der geschlossenen Unterbringung auch eine Heilbehandlung durchgesetzt werden soll, hat das Bundesverfassungsgericht einen weiten Begriff der Zwangsbehandlung gewählt statt lediglich auf unmittelbaren Zwang abzustellen.

6. Eine Zwangsbehandlung liegt auch vor, wenn der Untergebrachte sich lediglich anpasst, weil er seinen der Behandlung entgegenstehenden natürlichen Willen nicht äußern kann. Darin liegt gerade eine der typischen Zwangswirkungen der geschlossenen Unterbringung bzw. der Krankheit.


AG Offenbach, 26.10.2012 - Az: 14 XVII 1205/12

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