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Lebensverlängernde Maßnahmen an einwilligungsunfähigen Patienten

Betreuungsrecht

Ist ein Patient einwilligungsunfähig und hat sein Grundleiden einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen, so müssen lebenserhaltende oder -verlängernde Maßnahmen unterbleiben, wenn dies seinem zuvor - etwa in Form einer sog. Patientenverfügung - geäußerten Willen entspricht.

Dies folgt aus der Würde des Menschen, die es gebietet, sein in einwilligungsfähigem Zustand ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu eigenverantwortlichem Entscheiden nicht mehr in der Lage ist.

Nur wenn ein solcher erklärter Wille des Patienten nicht festgestellt werden kann, beurteilt sich die Zulässigkeit solcher Maßnahmen nach dem mutmaßlichen Willen des Patienten, der dann individuell - also aus dessen Lebensentscheidungen, Wertvorstellungen und Überzeugungen - zu ermitteln ist.

Ist für einen Patienten ein Betreuer bestellt, so hat dieser dem Patientenwillen gegenüber Arzt und Pflegepersonal in eigener rechtlicher Verantwortung und nach Maßgabe des § 1901 BGB Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Seine Einwilligung in eine ärztlicherseits angebotene lebenserhaltende oder -verlängernde Behandlung kann der Betreuer jedoch nur mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichts wirksam verweigern.

Für eine Einwilligung des Betreuers und eine Zustimmung des Vormundschaftsgerichts ist kein Raum, wenn ärztlicherseits eine solche Behandlung oder Weiterbehandlung nicht angeboten wird - sei es dass sie von vornherein medizinisch nicht indiziert, nicht mehr sinnvoll oder aus sonstigen Gründen nicht möglich ist.

Die Entscheidungszuständigkeit des Vormundschaftsgerichts ergibt sich nicht aus einer analogen Anwendung des § 1904 BGB, sondern aus einem unabweisbaren Bedürfnis des Betreuungsrechts.

Der Entscheidung lag der nachfolgende Sachverhalt zugrunde:

Der jetzt 72-jährige Betroffene erlitt im November 2000 infolge eines Myocardinfarktes einen hypoxischen Gehirnschaden im Sinne eines apallischen Syndroms. Seither wird er über eine PEG-(Magen-)Sonde ernährt; eine Kontaktaufnahme mit ihm ist nicht möglich.

Der Sohn des Betroffenen, der zum Betreuer u.a. für den Aufgabenkreis "Sorge für die Gesundheit des Betroffenen, ... Vertretung gegenüber ... Einrichtungen (z.B. Heimen) ..." bestellt wurde, verlangt, die künstliche Ernährung seines Vaters einzustellen, da eine Besserung des Zustandes seines Vaters nicht zu erwarten sei. Die Ehefrau und die Tochter des Betroffenen unterstützen diese Forderung. Der Betreuer verweist auf eine maschinenschriftliche und vom Betroffenen im November 1998 handschriftlich unterzeichnete Verfügung, in der es u.a. heißt:

„Für den Fall, dass ich zu einer Entscheidung nicht mehr fähig bin, verfüge ich: Im Fall meiner irreversiblen Bewußtlosigkeit, schwerster Dauerschäden meines Gehirns oder des dauernden Ausfalls lebenswichtiger Funktionen meines Körpers oder im Endstadium einer zum Tode führenden Krankheit, wenn die Behandlung nur noch dazu führen würde, den Vorgang des Sterbens zu verlängern, will ich: - keine Intensivbehandlung, - Einstellung der Ernährung, ...“.

Die Oberlandesgerichte Frankfurt und Karlsruhe hatten zuvor ausgesprochen, dass die Einwilligung des Betreuers eines selbst nicht mehr entscheidungsfähigen, irreversibel hirngeschädigten Betroffenen in den Abbruch der Ernährung mittels einer PEG-(Magen-)Sonde anlog § 1904 BGB der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedürfe. Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht verneint eine Genehmigungspflicht; es hat deshalb die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

Der Bundesgerichtshofs hat für den vorliegenden Fall die Notwendigkeit einer vormundschaftsgerichtlichen Zustimmung bejaht. Er hat dabei zur Zulässigkeit lebenserhaltender oder -verlängernder Maßnahmen allgemein Stellung genommen und auch die Bedeutung sog. Patientenverfügungen unterstrichen:

Sei ein Patient einwilligungsunfähig und habe sein Grundleiden einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen, so müssten lebenserhaltende oder -verlängernde Maßnahmen unterbleiben, wenn dies seinem zuvor - etwa in Form einer sog. Patientenverfügung - geäußerten Willen entspreche. Dies folge aus der Würde des Menschen, die es gebiete, sein in einwilligungsfähigem Zustand ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu eigenverantwortlichem Entscheiden nicht mehr in der Lage sei. Nur wenn ein solcher erklärter Wille des Patienten nicht festgestellt werden könne, beurteile sich die Zulässigkeit solcher Maßnahmen nach dem mutmaßlichen Willen des Patienten, der dann individuell - also aus dessen Lebensentscheidungen, Wertvorstellungen und Überzeugungen - zu ermitteln sei.

Sei - wie hier - für den Patienten ein Betreuer bestellt, so habe dieser dem Patientenwillen gegenüber Arzt und Pflegepersonal in eigener rechtlicher Verantwortung Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Seine Einwilligung in eine ärztlicherseits angebotene lebenserhaltende oder -verlängernde Behandlung könne der Betreuer jedoch nur mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichts wirksam verweigern. Für eine Einwilligung des Betreuers und eine Zustimmung des Vormundschaftsgerichts sei allerdings kein Raum, wenn ärztlicherseits eine solche Behandlung oder Weiterbehandlung nicht angeboten werde - sei es dass sie von vornherein medizinisch nicht indiziert, nicht mehr sinnvoll oder aus sonstigen Gründen nicht möglich sei. Die Entscheidungszuständigkeit der Vormundschaftsgerichte folge aber aus einer Gesamtschau des Betreuungsrechts und dem unabweisbaren Bedürfnis, mit den Instrumenten dieses Rechts auch auf Fragen im Grenzbereich menschlichen Lebens und Sterbens für alle Beteiligten rechtlich verantwortbare Antworten zu finden.


BGH, 17.03.2003 - Az: XII ZB 2/03

Quelle: PM des BGH

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