Mutterschaftsurlaub schließt Ausbildung nicht aus!

Arbeitsrecht

Der automatische Ausschluss einer Arbeitnehmerin von einem Ausbildungskurs wegen der Inanspruchnahme eines obligatorischen Mutterschaftsurlaubs verstößt gegen das Unionsrecht. In einem solchen Fall kann eine Arbeitnehmerin nicht in gleicher Weise wie ihre Kollegen in den Genuss einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen gelangen.

Im Jahr 2009 absolvierte Frau Napoli erfolgreich das Auswahlverfahren für Vizekommissare der Justizvollzugspolizei und wurde am 5. Dezember 2011 zur Teilnahme am Ausbildungskurs zugelassen, der am 28. Dezember 2011 beginnen sollte. Nachdem Frau Napoli am 7. Dezember entbunden hatte, befand sie sich nach der nationalen Regelung für drei Monate bis zum 7. März 2012 im obligatorischen Mutterschaftsurlaub. Mit Bescheid vom 4. Januar 2012, der gemäß der italienischen Regelung erging, teilte die Amministrazione penitenziaria Frau Napoli mit, dass sie nach Ablauf der ersten 30 Tage des Mutterschaftsurlaubs von dem betreffenden Kurs ausgeschlossen und die Zahlung ihrer Bezüge ausgesetzt werde. Die italienische Verwaltung wies darauf hin, dass sie automatisch zum nächsten veranstalteten Kurs zugelassen werde.
Das mit dem Rechtsstreit befasste Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium) fragt den Gerichtshof, ob die Richtlinie über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen1 einer nationalen Regelung entgegensteht, die eine Frau wegen der Inanspruchnahme eines obligatorischen Mutterschaftsurlaubs von einer Berufsausbildung, die Teil ihres Beschäftigungsverhältnisses und vorgeschrieben ist, um endgültig auf eine Beamtenstelle ernannt werden und damit in den Genuss verbesserter Beschäftigungsbedingungen gelangen zu können, ausschließt, die ihr dabei aber das Recht garantiert, an der nächsten organisierten Ausbildung teilzunehmen, deren Zeitpunkt jedoch ungewiss ist.
In seinem Urteil vom heutigen Tag erinnert der Gerichtshof daran, dass nach dem Unionsrecht eine ungünstigere Behandlung einer Frau im Zusammenhang mit Schwangerschaft oder Mutterschaftsurlaub eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt. Ferner hat eine Frau im Mutterschaftsurlaub Anspruch darauf, an ihren früheren Arbeitsplatz oder einen gleichwertigen Arbeitsplatz unter Bedingungen, die für sie nicht weniger günstig sind, zurückzukehren, und darauf, dass ihr auch alle Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, auf die sie während ihrer Abwesenheit Anspruch gehabt hätte, zugutekommen.
Es steht fest, dass Frau Napoli in einem Arbeitsverhältnis beschäftigt ist und dass die Kurse, von denen sie aufgrund ihrer Abwesenheit wegen Mutterschaftsurlaubs ausgeschlossen wurde, im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses veranstaltet werden und dazu bestimmt sind, sie auf eine Prüfung vorzubereiten, die ihr, wenn sie sie besteht, den Aufstieg in einen höheren Dienstgrad ermöglichen würde.
Der Gerichtshof stellt zwar fest, dass der Mutterschaftsurlaub die Stellung eines Vizekommissarsanwärters von Frau Napoli nicht beeinflusst hat (was ihr die Aufnahme in den nächsten Kurs garantiert) und dass sie den Arbeitsplatz zurückerhalten hat, auf dem sie vor ihrem Mutterschaftsurlaub beschäftigt worden war. Dennoch hatte der Ausschluss vom Berufsausbildungskurs wegen der Inanspruchnahme des Mutterschaftsurlaubs einen nachteiligen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen von Frau Napoli: Ihre Kollegen konnten nämlich den ursprünglichen Kurs vollständig absolvieren und vor ihr in den höheren Dienstgrad eines Vizekommissars aufsteigen und die entsprechenden Dienstbezüge erhalten.
Der Gerichtshof stellt daher fest, dass der Ausschluss vom ersten Kurs und das anschließende Verbot, an der abschließenden Prüfung teilzunehmen, den Verlust einer Chance von Frau Napoli bewirken, in gleicher Weise wie ihre Kollegen in den Genuss einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu kommen, und daher als eine ungünstige Behandlung betrachtet werden müssen. Dieser automatische Ausschluss, der weder berücksichtigt, in welchem Stadium des Kurses die Betroffene wegen Mutterschaftsurlaub abwesend ist, noch welche Ausbildung sie bereits absolviert hat, und sich darauf beschränkt, der Arbeitnehmerin das Recht auf Teilnahme an einem Ausbildungskurs einzuräumen, der zu einem späteren, jedoch ungewissen Zeitpunkt stattfindet, ist nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar, zumal die zuständigen Behörden nicht verpflichtet sind, einen solchen Kurs zu bestimmten Zeitpunkten zu veranstalten.
Zur Gewährleistung der wesentlichen Gleichheit zwischen Männern und Frauen verfügen die Mitgliedstaaten über einen gewissen Ermessensspielraum: So können die zuständigen Behörden das Erfordernis der vollständigen Ausbildung der Bewerber mit den Rechten der Arbeitnehmerin in Einklang bringen, indem sie gegebenenfalls für die Arbeitnehmerin, die aus dem Mutterschaftsurlaub zurückkehrt, parallele gleichwertige Nachschulungskurse vorsehen, damit sie rechtzeitig zur Prüfung zugelassen werden und so schnell wie möglich in einen höheren Dienstgrad aufsteigen kann. Auf diese Weise würde sich die berufliche Laufbahn einer solchen Arbeitnehmerin im Vergleich zu derjenigen eines männlichen Kollegen, der das Auswahlverfahren bestanden hat und zum selben ursprünglichen Ausbildungskurs zugelassen wurde, nicht langsamer entwickeln.
Der Gerichtshof schließt mit der Feststellung, dass die Bestimmungen der Richtlinie hinreichend klar, genau und unbedingt sind, um unmittelbare Wirkung entfalten zu können. Daher ist das nationale Gericht, das sie anzuwenden hat, verpflichtet, deren volle Wirksamkeit dadurch zu gewährleisten, dass es erforderlichenfalls jede entgegenstehende nationale Bestimmung aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt.


EuGH, 06.03.2014 - Az: C-595/12

Quelle: PM des EuGH

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