Abhängig beschäftigte Väter haben unabhängig vom beruflichen Status der Mutter ihres Kindes Anspruch auf sogenannten „Stillurlaub“

Arbeitsrecht

Die spanische Regelung, wonach ein abhängig beschäftigter Vater diesen Urlaub nur dann anstelle der Mutter seines Kindes in Anspruch nehmen kann, wenn diese abhängig beschäftigt ist, stellt eine Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts dar

Das spanische Arbeitnehmerstatut bestimmt, dass Mütter, die abhängig beschäftigt sind, in den ersten neun Monaten nach der Geburt ihres Kindes einen sogenannten „Stillurlaub“ nehmen können. Damit ist ein Anspruch auf eine Stunde Arbeitsbefreiung, die sie in zwei Abschnitte aufteilen können, oder auf eine Verkürzung ihrer täglichen Arbeitszeit um eine halbe Stunde verbunden. Es ist ausdrücklich vorgesehen, dass dieser Urlaub sowohl von der Mutter als auch vom Vater in Anspruch genommen werden kann, sofern beide arbeiten.
Herr Roca Álvarez ist bei der Sesa Start España ETT SA beschäftigt. Sein Antrag auf Stillurlaub wurde mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Mutter seines Kindes keine Arbeitnehmerin, sondern selbständig tätig sei. Daraufhin hat er die Entscheidung seines Arbeitgebers vor den nationalen Gerichten angefochten.
Das als Rechtsmittelgericht angerufene Tribunal Superior de Justicia de Galicia hat festgestellt, dass dieser Urlaub aufgrund der Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften und der nationalen Rechtsprechung von der biologischen Tatsache des Stillens losgelöst sei. Nachdem er im Jahr 1900 eingeführt worden sei, um der Mutter das Stillen zu erleichtern, könne er seit einigen Jahren auch bei Ernährung des Kindes mit künstlicher Milch gewährt werden. Seither werde dieser Urlaub als reine Zeit der Kinderbetreuung und als eine Maßnahme angesehen, um Berufs- und Familienleben nach dem Mutterschaftsurlaub miteinander in Einklang zu bringen. Der Vater könne jedoch bis heute nur dann, wenn die Mutter abhängig beschäftigt sei und damit Anspruch auf Stillurlaub habe, diesen an ihrer Stelle in Anspruch nehmen.
In diesem Zusammenhang hat das Gericht den Gerichtshof gefragt, ob der Anspruch auf Stillurlaub nicht sowohl Männern als auch Frauen gewährt werden müsse und ob die Tatsache, dass er abhängig beschäftigten Frauen und den Vätern ihrer Kinder vorbehalten sei, nicht diskriminierend sei und dem Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen zuwiderlaufe, der nach den Richtlinien anerkannt sei, mit denen dieser Grundsatz in Arbeits- und Beschäftigungsfragen verwirklicht werde1.
Der Gerichtshof stellt in seinem heute verkündeten Urteil fest, dass diese Richtlinien einer nationalen Maßnahme entgegenstehen, nach der abhängig beschäftigte Mütter einen Stillurlaub beanspruchen können, abhängig beschäftigte Väter hingegen nur dann, wenn auch die Mutter des Kindes eine abhängige Erwerbstätigkeit ausübt.
Der Gerichtshof führt zunächst aus, dass dieser Urlaub, der eine Änderung der Arbeitszeit bewirkt, die Arbeitsbedingungen berührt, die in den Richtlinien geregelt sind, nach denen jegliche Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts verboten ist.
Die Situation von zwei Arbeitnehmern, die Vater bzw. Mutter von Kleinkindern sind, sei im Hinblick auf die Notwendigkeit vergleichbar, ihre tägliche Arbeitszeit zu verringern, um sich um ihr Kind zu kümmern. Trotzdem reiche nach der Regelung des spanischen Arbeitnehmerstatuts die Eigenschaft als Elternteil für männliche Arbeitnehmer nicht aus, um diesen Urlaub in Anspruch nehmen zu können, wohl aber für weibliche Arbeitnehmer. Die spanische Regelung schaffe dadurch eine Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts zwischen abhängig beschäftigten Müttern und abhängig beschäftigten Vätern.
Schließlich stellt der Gerichtshof fest, dass diese Diskriminierung weder mit den Zielen des Schutzes der Frau noch mit der Förderung der Chancengleichheit für Männer und Frauen gerechtfertigt werden kann.
Zum einen hat dieser Urlaub nicht zum Ziel, den Schutz der körperlichen Verfassung der Frau nach der Schwangerschaft oder den Schutz der besonderen Beziehung zwischen Mutter und Kind zu gewährleisten. Dass der Urlaub sowohl vom Vater als auch von der Mutter genommen werden kann, bedeutet nämlich, dass sowohl der Vater als auch die Mutter für die Ernährung und die Kinderbetreuung sorgen können, so dass dieser Urlaub den Arbeitnehmern in ihrer Eigenschaft als Eltern des Kindes gewährt wird.
Zum anderen führt eine derartige Regelung nicht zur Beseitigung oder Verringerung etwaiger für Frauen in der sozialen Wirklichkeit bestehender faktischer Ungleichheiten. Sie dient auch nicht dazu, Benachteiligungen in der beruflichen Laufbahn der betreffenden Personen zu verhindern oder auszugleichen.
Zwar kann diese Maßnahme eine Begünstigung von Frauen bewirken, indem sie es abhängig beschäftigten Müttern ermöglicht, ihren Arbeitsplatz beizubehalten und sich zugleich ihrem Kind zu widmen. Diese Wirkung wird dadurch verstärkt, dass der Vater des Kindes die Möglichkeit hat, den Urlaub anstelle der Mutter in Anspruch zu nehmen, die dank der ihrem Kind gewährten Pflege und Aufmerksamkeit keine nachteiligen Folgen für ihr Beschäftigungsverhältnis zu befürchten hätte.
Dagegen ist der Umstand, dass allein die abhängig beschäftigte Mutter Inhaber des Urlaubsanspruchs ist, während dem abhängig beschäftigten Vater kein unmittelbarer Anspruch zusteht, geeignet, die herkömmliche Rollenverteilung zwischen Mann und Frau zu verfestigen, indem den Männern weiterhin eine im Hinblick auf die Ausübung der elterlichen Gewalt subsidiäre Rolle gegenüber den Frauen zugewiesen wird. Außerdem könnte dies dazu führen, dass eine selbständig tätige Frau wie die Mutter des Kindes von Herrn Roca Álvarez, der keinen Anspruch auf diesen Urlaub hat, gezwungen wäre, ihre berufliche Tätigkeit einzuschränken und die sich aus der Geburt ihres Kindes ergebende Belastung allein zu tragen, ohne dass der Vater des Kindes sie entlasten könnte.


EuGH, 30.09.2010 - Az: C-104/09

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