Aufgrund ihrer Schwangerschaft beurlaubten oder auf einem anderen Arbeitsplatz beschäftigten Arbeitnehmerinnen stehen ihr monatliches Grundentgelt und die Zulagen zu, die an ihre berufliche Stellung anknüpfen

Arbeitsrecht

Auf Zulagen und Vergütungen, mit denen die Nachteile ausgeglichen werden sollen, die mit der Ausübung bestimmter Tätigkeiten unter besonderen Umständen verbunden sind, haben sie hingegen keinen Anspruch, wenn sie diese Tätigkeiten nicht tatsächlich ausüben

Im Rahmen dieser beiden Vorabentscheidungsersuchen aus Österreich und Finnland hatte der Gerichtshof über Fragen nach der Berechnung der Bezüge zu befinden, die Arbeitnehmerinnen während ihrer Schwangerschaft oder ihres Mutterschaftsurlaubs zu zahlen sind, wenn sie vorübergehend auf einem anderen Arbeitsplatz beschäftigt oder beurlaubt werden.
Susanne Gassmayr arbeitete vor ihrer Schwangerschaft als Assistenzärztin an der Universitätsklinik für Anästhesie Graz, wo sie neben ihrem Grundentgelt für Überstunden eine Journaldienstzulage bezog. Während ihrer Schwangerschaft wurde sie aufgrund der Vorlage eines medizinischen Zeugnisses, wonach ihr Leben oder ihre Gesundheit oder die ihres Kindes bei Fortdauer der Beschäftigung gefährdet wäre, nicht mehr beschäftigt; anschließend nahm sie ihren Mutterschaftsurlaub.
Da nach österreichischem Recht die Zahlung einer Journaldienstzulage an Personen, die nicht auch tatsächlich Journaldienste leisten, ausgeschlossen ist, wurde Frau Gassmayr die Zahlung dieser Zulage für die Zeit verweigert, in der sie nicht beschäftigt war.
In der zweiten Rechtssache arbeitete Sanna Maria Parviainen vor ihrer Schwangerschaft als Kabinenchefin bei der Fluggesellschaft Finnair. Ein Großteil ihres Arbeitsentgelts bestand aus Zulagen, die an ihre leitende Position anknüpften oder mit denen die speziellen Nachteile ausgeglichen werden sollten, die mit der Arbeitszeitgestaltung im Luftverkehrssektor verbunden sind.
Während der Schwangerschaft wurde ihr vorübergehend ein einer Bürotätigkeit entsprechender Arbeitsplatz am Boden zugewiesen, den sie bis zum Beginn ihres Mutterschaftsurlaubs innehatte. Ihr monatliches Arbeitsentgelt verringerte sich mit dieser Umsetzung u. a. deshalb, weil sie keine Zulagen für ihre Funktion als Kabinenchefin mehr erhielt.
Wegen der Verringerung ihres Arbeitsentgelts während der Schwangerschaft bzw. ihres Mutterschaftsurlaubs leiteten die beiden Frauen Gerichtsverfahren gegen ihre jeweiligen Arbeitgeber ein. Der Verwaltungsgerichtshof (Österreich) und das Helsingin Käräjäoikeus (erstinstanzliches Gericht Helsinki, Finnland) haben dem Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob es die Richtlinie über schwangere Arbeitnehmerinnen1 den Arbeitgebern gestattet, diesen Arbeitnehmerinnen die Zahlung bestimmter Zulagen zu verweigern, die sie vor ihrer Schwangerschaft erhalten hatten.

Der Gerichtshof stellt fest, dass sowohl Frau Gassmayr als auch Frau Parviainen während der vorübergehenden Beschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz bzw. der Beurlaubung während der Schwangerschaft und des Mutterschaftsurlaubs nicht mehr die Aufgaben ausüben konnten, die ihnen vor ihrer Schwangerschaft zugewiesen waren. Insoweit entscheidet der Gerichtshof, dass die Frau Gassmayr gezahlte Journaldienstzulage und bestimmte Zulagen, die Frau Parviainen erhielt, Bestandteile ihres Arbeitsentgelts sind, die davon abhängen, dass bestimmte Tätigkeiten unter besonderen Umständen ausgeübt werden, und mit denen die mit diesen Tätigkeiten verbundenen Nachteile ausgeglichen werden sollen. Somit darf die Zahlung dieser Zulagen davon abhängig gemacht werden, dass die schwangere Arbeitnehmerin im Gegenzug bestimmte Leistungen tatsächlich erbringt.
Gleichwohl weist der Gerichtshof darauf hin, dass eine schwangere Arbeitnehmerin, die aufgrund ihrer Schwangerschaft beurlaubt oder vorübergehend auf einem anderen Arbeitsplatz beschäftigt wird, Anspruch auf Bezüge haben muss, die sich aus ihrem monatlichen Grundentgelt sowie den Bestandteilen ihres Entgelts und den Zulagen zusammensetzen, die an ihre berufliche Stellung anknüpfen, wie etwa die Zulagen, die an ihre leitende Position, an die Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit und an ihre beruflichen Qualifikationen anknüpfen.
Zudem darf das Entgelt, das einer schwangeren Arbeitnehmerin, die vorübergehend auf einem anderen Arbeitsplatz beschäftigt wird, fortzuzahlen ist, jedenfalls nicht geringer sein als das Entgelt, das Arbeitnehmern gezahlt wird, die auf einem solchen Arbeitsplatz beschäftigt sind. Für die Dauer dieser Beschäftigung hat die schwangere Arbeitnehmerin nämlich grundsätzlich auch Anspruch auf die mit diesem Arbeitsplatz verbundenen Entgeltbestandteile und Zulagen.
Der Gerichtshof weist darauf hin, dass sich Arbeitnehmerinnen während eines Mutterschaftsurlaubs in einer Situation befinden, die nicht mit der Situation von Arbeitnehmern, die tatsächlich an ihrem Arbeitsplatz arbeiten, gleichgesetzt werden kann. Somit können sie weder die Fortzahlung ihres Gesamtarbeitsentgelts noch die Zahlung einer Journaldienstzulage beanspruchen. Im Übrigen sieht die Richtlinie selbst vor, dass die diesen Frauen zu zahlenden Mindestbezüge dem entsprechen, was die betreffende Arbeitnehmerin im Falle einer Unterbrechung ihrer Erwerbstätigkeit aus gesundheitlichen Gründen erhalten würde.
Der Gerichtshof hebt schließlich die Notwendigkeit hervor, die praktische Wirksamkeit der Richtlinie und die mit ihr verfolgten Ziele zu beachten, nämlich den Schutz der Gesundheit der schwangeren Arbeitnehmerinnen, der Wöchnerinnen und der stillenden Arbeitnehmerinnen, und führt aus, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, den Arbeitnehmerinnen, die während ihrer Schwangerschaft beurlaubt oder vorübergehend auf einem anderen Arbeitsplatz beschäftigt werden oder sich im Mutterschaftsurlaub befinden, ihr Gesamtarbeitsentgelt und damit höhere Bezüge fortzuzahlen, als sie die Richtlinie garantiert.


EuGH, 01.07.2010 - Az: C-471/08 und C-194/08

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