Berufsunfähigkeitsrenten - Diskriminierung aufgrund des Geschlechts?

Arbeitsrecht

Das spanische Gesetz über die Berechnung von Berufsunfähigkeitsrenten ist mit dem Unionsrecht vereinbar. Auch wenn eine Bestimmung dieses Gesetzes zur Verringerung der bestimmten Teilzeitbeschäftigten geschuldeten Berufsunfähigkeitsrente führt, stellt sie keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar.

Nach spanischem Recht bemisst sich die Höhe von Renten wegen dauernder Berufsunfähigkeit nach den Bemessungsgrundlagen der Sozialversicherungsbeiträge in den letzten acht Jahren vor dem Eintritt der Berufsunfähigkeit. Für Fälle, in denen der Arbeitnehmer innerhalb dieses Referenzzeitraums einige Monate lang erwerbslos war und daher keine Sozialversicherungsbeiträge geleistet hat, sieht das Gesetz einen Korrekturmechanismus vor. Durch diesen Korrekturmechanismus können auch diese Zeiten in die Berechnungsgrundlage der Berufsunfähigkeitsrente einbezogen werden. Hierfür werden sogenannte „fiktive“ Beitragsbemessungsgrundlagen verwendet. Wenn der Arbeitnehmer in der Zeit unmittelbar vor der Zeit der Erwerbslosigkeit eine Vollzeitbeschäftigung ausgeübt hat, wird für die Zeit der Erwerbslosigkeit diejenige Bemessungsgrundlage verwendet, die einer Vollzeitbeschäftigung entspricht. Hat er hingegen unmittelbar vor der Unterbrechung seiner Beitragszahlung eine Teilzeitbeschäftigung ausgeübt, so werden die Zeiten, in denen er keine Beiträge gezahlt hat, nur mit einer verringerten Beitragsbemessungsgrundlage berücksichtigt, die daraus resultiert, dass auf sie ein Teilzeitkoeffizient angewandt wird.

Frau Lourdes Cachaldora Fernández zahlte vom 15. September 1971 bis zum 25. April 2010 während einer Gesamtzeit von 5 523 Tagen Beiträge in die spanische Sozialversicherung ein. In dieser Zeit ging sie einer Vollzeittätigkeit nach, ausgenommen nur die Zeit vom 1. September 1998 bis zum 23. Januar 2002, in der sie in Teilzeit beschäftigt war. Dagegen übte sie nach dem letztgenannten Zeitraum, nämlich vom 23. Januar 2002 bis zum 30. November 2005, keine Erwerbstätigkeit aus und zahlte deshalb in dieser Zeit auch keine Sozialversicherungsbeiträge.

Im Jahr 2010 beantragte Frau Cachaldora Fernández bei der spanischen staatlichen Sozialversicherungsanstalt (Instituto Nacional de la Seguridad Social) die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente. Ihr wurde eine Rente wegen dauernder vollständiger Unfähigkeit zur Ausübung ihres gewöhnlichen Berufs zuerkannt. Der Betrag der monatsbezogenen Rentenberechnungsgrundlage wurde auf 347,03 Euro und der anzuwendende Prozentsatz auf 55 % festgesetzt. Hiergegen erhob Frau Cachaldora Fernández Widerspruch mit der Begründung, bei der Berechnung ihrer Rente müssten für die Zeit, in der sie die Beitragszahlung unterbrochen habe, die jeweils geltenden Mindestbeitragsbemessungsgrundlagen in voller Höhe und nicht in der durch den Teilzeitkoeffizienten verringerten Höhe zugrunde gelegt werden. Nach dieser Berechnungsmethode hätte sich der Betrag der monatsbezogenen Berechnungsgrundlage für die Rente von Frau Cachaldora Fernández auf 763,76 Euro belaufen. Da ihr Widerspruch und ihre anschließende Klage gegen diesen Bescheid erfolglos blieben, hat Frau Cachaldora Fernández Rechtsmittel beim Tribunal Superior de Justicia de Galicia (Oberstes Gericht von Galicien, Spanien) eingelegt.

Das Tribunal Superior de Justicia de Galicia hat den Gerichtshof um Klärung der Frage ersucht, ob diese Berechnungsmodalitäten für Berufsunfähigkeitsrenten mit den unionsrechtlichen Bestimmungen vereinbar sind, die Diskriminierungen zwischen Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit sowie zwischen Vollzeitbeschäftigten und Teilzeitbeschäftigten untersagen. Das spanische Gericht ist der Auffassung, dass diese Berechnungsmodalitäten eine Diskriminierung von Arbeitnehmern bewirken könnten, die in der Zeit unmittelbar vor einer Unterbrechung der Zahlung ihrer Sozialversicherungsbeiträge eine Teilzeitbeschäftigung ausgeübt hätten. Hiervon seien Frauen in besonderem Maße betroffen, da unter den Teilzeitbeschäftigten in Spanien wesentlich mehr weibliche als männliche Arbeitnehmer seien.

Mit seinem heutigen Urteil antwortet der Gerichtshof, dass das spanische Gesetz weder als unmittelbar diskriminierende Maßnahme (das Gesetz findet unterschiedslos auf männliche und weibliche Arbeitnehmer Anwendung) noch als mittelbar diskriminierende Maßnahme (das Gesetz benachteiligt nicht überwiegend eine bestimmte Kategorie von Arbeitnehmern) eingeordnet werden kann.

Das spanische Gesetz ist nämlich nicht auf alle Teilzeitarbeitnehmer anzuwenden, sondern nur auf die Arbeitnehmer, die im Anschluss an eine Teilzeitbeschäftigung eine Beitragslücke im maßgeblichen Referenzzeitraum der letzten acht Jahre vor dem Eintritt der Berufsunfähigkeit aufweisen. Somit sind die allgemeinen statistischen Daten in Bezug auf die Gruppe der Teilzeitarbeitnehmer in ihrer Gesamtheit nicht einschlägig, um aufzuzeigen, dass durch dieses Gesetz eine deutlich höhere Zahl von Frauen als von Männern betroffen ist. Darüber hinaus ist es nicht ausgeschlossen, dass bestimmte Teilzeitbeschäftigte durch das spanische Gesetz auch begünstigt werden können, und zwar dann, wenn der Vertrag, der der beruflichen Untätigkeit vorausging, ein Vollzeitbeschäftigungsvertrag ist, obwohl sie im verbleibenden maßgeblichen Zeitraum oder sogar während ihres gesamten Berufslebens nur teilzeitbeschäftigt waren. Solche Arbeitnehmer werden also bevorzugt, da sie eine gegenüber den tatsächlich geleisteten Beiträgen überbewertete Rente erhalten.

In Bezug auf die Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit ist der Gerichtshof der Ansicht, dass es sich bei der von Frau Cachaldora Fernández beantragten Rente um Versorgungsbezüge aus einem gesetzlichen System der sozialen Sicherheit handelt, die nicht in den Anwendungsbereich der Rahmenvereinbarung fallen. Der Gerichtshof fügt hinzu, dass das spanische Gesetz im Hinblick auf den Zufallscharakter seiner Wirkung auf Teilzeitbeschäftigte nicht als ein Hindernis rechtlicher Natur angesehen werden kann, das die Teilzeitarbeitsmöglichkeiten beschränkt.


EuGH, 14.04.2015 - Az: C-527/13

ECLI:EU:C:2015:215

Quelle: PM des EuGH

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