Außerordentliche betriebsbedingte Beendigungskündigung trotz Unkündbarkeit nach § 55 BAT?

Arbeitsrecht

Der 1952 geborene Kläger war seit 1980 bei der beklagten Stadt bzw. deren Rechtsvorgängerin, einem Zweckverband, beschäftigt. Er unterrichtete an der städtischen Musikschule das Fach "Trompete" und war stellvertretender Schulleiter. Nach § 53 Abs. 3 des auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Bundes-Angestellten-Tarifvertrags (BAT) war der Kläger ordentlich unkündbar.

Gemäß § 55 Abs. 1 BAT kann dem unkündbaren Angestellten nur aus in seiner Person oder in seinem Verhalten liegenden Gründen fristlos gekündigt werden. Andere wichtige Gründe, insbesondere dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Angestellten entgegenstehen, berechtigen den Arbeitgeber nicht zur Kündigung.

In diesen Fällen kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nach § 55 Abs. 2 Satz 2 BAT zum Zwecke der Herabgruppierung um eine Vergütungsgruppe kündigen, wenn eine Beschäftigung zu den bisherigen Vertragsbedingungen nachweisbar nicht möglich ist. Nach Auflösung des Zweckverbands zum 31. Dezember 1999 und Übergang des Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte beschloß der Rat der beklagten Stadt, die Musikschule zum 31. Juli 2000 zu schließen. Die beklagte Stadt kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 2. März 2000 außerordentlich mit einer Frist zum 30. September 2000.

Hiergegen wehrt sich der Kläger mit seiner Kündigungsschutzklage. Er vertritt die Ansicht, die Kündigung sei schon wegen des Ausschlusses einer betriebsbedingten Beendigungskündigung in § 55 BAT unwirksam. Weiterhin macht er ua. geltend, die Beklagte habe vor Ausspruch der Kündigung nicht alle Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten ausgeschöpft. Demgegenüber wendet die beklagte Stadt ein, es könne kein Zwang bestehen, ein inhaltsleeres Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Andere öffentliche Arbeitgeber oder private Musikschulen hätten kein Interesse an der Beschäftigung des Klägers gehabt, wie sich aus Gesprächen nach Ausspruch der Kündigung ergeben habe.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben.

Die Revision der Beklagten blieb erfolglos. § 55 BAT schließt zwar seinem Wortlaut nach auch die außerordentliche betriebsbedingte Kündigung aus wichtigem Grund (§ 626 BGB) aus und verweist den Arbeitgeber insoweit auf eine Änderungskündigung. Die Möglichkeit zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund kann aber in einem Dauerschuldverhältnis nicht völlig beseitigt werden.

Es sind Extremfälle denkbar, in denen auch im Rahmen des § 55 BAT eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung mit notwendiger Auslauffrist in Betracht kommen kann. Dies bedeutet jedoch nicht, daß jede Umorganisation oder Schließung einer Teileinrichtung mit dem Wegfall von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst zu einer außerordentlichen Kündigung führen kann. Hat der Arbeitgeber - wie vorliegend die Beklagte - vor Ausspruch der Kündigung nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, eine Weiterbeschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers in der eigenen oder (Grundsatz der Einheit des öffentlichen Dienstes) auch in einer fremden Verwaltung zu versuchen, so ist eine Kündigung ausgeschlossen. Dies gilt erst recht, wenn der Arbeitgeber nicht einmal d i e Maßnahmen zur Vermeidung einer Beendigungskündigung ergriffen hat, zu denen er in dem vergleichbaren Fall von Rationalisierungsmaßnahmen tarifvertraglich verpflichtet ist.


BAG, 27.06.2002 - Az: 2 AZR 367/01

Quelle: PM des BAG

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