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Rechte der Arbeitnehmer bei Konkurseröffnung und das vereinbarte „Pre-pack“

Arbeitsrecht

Ein Konkurs, der im Rahmen eines Pre-packs eröffnet wurde, das die Übertragung eines Unternehmens vorbereiten soll, um einen schnellen Neustart bestandsfähiger Einheiten dieses Unternehmens nach der Konkurseröffnung zu ermöglichen, erfüllt gegebenenfalls nicht alle im Unionsrecht aufgestellten Voraussetzungen.

Der Entscheidung lag der nachfolgende Sachverhalt zugrunde:

Bis zu ihrem Konkurs war die niederländische Estro Groep (im Folgenden: Estro-Gruppe) das größte Unternehmen für Kinderbetreuung in den Niederlanden. Sie unterhielt dort etwa 380 Einrichtungen und beschäftigte rund 3 600 Arbeitnehmer. Am 5. Juni 2014 beantragte die Estro-Gruppe bei der Rechtbank Amsterdam (Bezirksgericht Amsterdam, Niederlande) die Bestellung eines in Aussicht genommenen Verwalters, was am 10. Juni 2014 geschah.

Am 20. Juni 2014 wurde die Gesellschaft Smallsteps gegründet, die einen Großteil der Kindertagesstätten der Estro-Gruppe im Auftrag von H.I.G. Capital (der Schwestergesellschaft des Hauptgesellschafters der Estro-Gruppe, Bayside Capital) zum Neustart übernehmen sollte.

Am 5. Juli 2014 wurde der Konkurs über das Vermögen der Estro-Gruppe eröffnet. Am selben Tag wurde ein „Pre-pack“ zwischen dem Verwalter und Smallsteps unterzeichnet. Ein „Pre-pack“ soll die Modalitäten zur Übertragung eines Unternehmens im Detail vorbereiten, um einen schnellen Neustart bestandsfähiger Unternehmenseinheiten nach der Konkurseröffnung zu ermöglichen, in dem Bestreben, so zu verhindern, dass die Geschäftstätigkeit dieses Unternehmens zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung abrupt beendet würde, damit der Unternehmenswert und die Arbeitsplätze erhalten werden.

Am 7. Juli 2014 entließ der Verwalter alle Arbeitnehmer der Estro-Gruppe. Rund 2 600 Arbeitnehmern, die zuvor bei der Estro-Gruppe beschäftigt waren, wurde von Smallsteps ein neuer Arbeitsvertrag angeboten, während mehr als 1 000 letztlich entlassen wurden.
Die Federatie Nederlandse Vakvereniging (FNV), eine niederländische Gewerkschaftsvereinigung, sowie vier Arbeitnehmerinnen, die in von Smallsteps übernommenen Einrichtungen tätig waren, denen jedoch nach der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Estro-Gruppe keine neuen Arbeitsverträge angeboten wurden, erhoben Klage bei der Rechtbank Midden-Nederland (Gericht der zentralen Niederlande). Ihrer Ansicht nach ist eine Richtlinie der Union, die auf den Schutz der Arbeitnehmer abzielt, insbesondere dadurch, dass sie die Wahrung ihrer Ansprüche bei einem Unternehmensübergang gewährleistet, auf das zwischen der Estro-Gruppe und Smallsteps vereinbarte Pre-pack anzuwenden. Somit müsse davon ausgegangen werden, dass die vier Arbeitnehmerinnen nun von Rechts wegen zu unveränderten Arbeitsbedingungen für Smallsteps arbeiteten.

Unter diesen Umständen hat die Rechtbank Midden-Nederland beschlossen, dem Gerichtshof Fragen vorzulegen. Sie möchte wissen, ob die Richtlinie dahin auszulegen ist, dass der Schutz der Arbeitnehmer in einer Situation aufrechterhalten wird, in der - wie im vorliegenden Fall - der Übergang eines Unternehmens im Anschluss an einen Konkursantrag im Zusammenhang mit einem Pre-pack stattfindet, das vor dem Konkurs vorbereitet und unmittelbar nach der Konkurseröffnung vollzogen wird.

In seinem Urteil stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass das Pre-pack zwar vor dem Konkursantrag vorbereitet, aber danach vollzogen wird. Nach Ansicht des Gerichtshofs kann ein solcher Vorgang, der tatsächlich einen Konkurs impliziert, unter den Begriff „Konkursverfahren“ im Sinne der Richtlinie fallen.

Sodann ist der Gerichtshof vorbehaltlich einer Überprüfung durch die Rechtbank Midden-Nederland der Auffassung, dass ein solcher Vorgang entgegen dem in der Richtlinie aufgestellten Erfordernis letztlich nicht auf die Liquidation des Unternehmens abzielt, so dass sich mit dem wirtschaftlichen und sozialen Zweck, der damit verfolgt wird, weder erklären noch rechtfertigen lässt, dass die Beschäftigten des betroffenen Unternehmens bei dessen völligem oder teilweisem Übergang die Rechte verlieren sollen, die ihnen die Richtlinie zuerkennt. Der bloße Umstand, dass das Pre-pack auch auf die Maximierung der Abfindung der Gläubiger abzielen kann, kann es nicht in ein Verfahren umwandeln, das zum Zweck der Auflösung des Vermögens des Veräußerers im Sinne der Richtlinie eröffnet wurde.

Schließlich stellt der Gerichtshof im Hinblick auf die in der Richtlinie aufgestellte Voraussetzung, dass das Konkursverfahren oder das entsprechende Insolvenzverfahren unter der Aufsicht einer öffentlichen Stelle stehen muss, fest, dass die der Konkurseröffnung vorangehende Phase des Pre-packs keine Grundlage in den niederländischen Rechtsvorschriften hat. Dieser Vorgang wird daher nicht unter der Aufsicht des Gerichts, sondern, wie aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten hervorgeht, von der Unternehmensleitung durchgeführt, die die Verhandlungen führt und die Entscheidungen zur Vorbereitung des Verkaufs des insolventen Unternehmens trifft.

Auch wenn der in Aussicht genommene Verwalter und der in Aussicht genommene Konkursrichter vom Gericht auf Antrag des insolventen Unternehmens bestellt werden, stehen ihnen nämlich formell keine Befugnisse zu. Daher unterliegen sie keiner Aufsicht durch eine öffentliche Stelle. Da der Verwalter sehr schnell nach der Konkurseröffnung die Zustimmung des Konkursrichters zur Veräußerung des Unternehmens beantragt und erhält, muss Letzterer außerdem vor der Konkurseröffnung Informationen erhalten und dieser Veräußerung im Prinzip nicht widersprochen haben.

Durch diese Vorgehensweise kann aber eine etwaige Aufsicht durch eine zuständige öffentliche Stelle über das Konkursverfahren weitgehend ausgehöhlt werden; sie kann daher nicht der in der Richtlinie genannten Voraussetzung der Aufsicht durch eine solche Stelle genügen. Der Gerichtshof kommt daher zu dem Ergebnis, dass ein Pre-pack wie das in Rede stehende nicht alle in der Richtlinie aufgestellten Voraussetzungen erfüllt und dass daher von der in ihr vorgesehenen Schutzregelung nicht abgewichen werden kann.


EuGH, 22.06.2017 - Az: C-126/16

ECLI:EU:C:2017:489

Quelle: PM des EuGH

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