Entlassung im Sinne der Richtlinie über Massenentlassungen

Arbeitsrecht

Die Aufhebung eines Arbeitsvertrags infolge der Weigerung des Arbeitnehmers, einer einseitigen und erheblichen Änderung wesentlicher Vertragsbestandteile zu seinen Lasten zuzustimmen, stellt eine Entlassung im Sinne der Richtlinie über Massenentlassungen dar. Würde es nicht unter den Begriff der Entlassung fallen, wenn ein Arbeitnehmer einer Gehaltskürzung von 25 % nicht zustimmt, würde der Richtlinie ihre volle Wirksamkeit genommen und der Schutz der Arbeitnehmer beeinträchtigt.

Im Hinblick auf die Bestimmung, ob eine Massenentlassung vorliegt, legt eine Richtlinie der Union für die Berechnung der Zahl der Entlassungen fest, dass diesen Entlassungen Beendigungen des Arbeitsvertrags gleichgestellt werden, die auf Veranlassung des Arbeitgebers und aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, erfolgen, sofern die Zahl der Entlassungen mindestens fünf beträgt.
Nach spanischem Recht ist bei Unternehmen, die zwischen 100 und 300 Arbeitnehmer beschäftigen, unter einer „Massenentlassung“ die Beendigung von Arbeitsverträgen aus objektiven Gründen zu verstehen, wenn sich die Beendigung innerhalb eines Zeitraums von 90 Tagen auf mindestens 10 % der Arbeitnehmer auswirkt.
Am 3. September 2013 beschäftigte das Unternehmen Gestora Clubs Dir SL 126 Arbeitnehmer, davon 114 auf der Grundlage eines unbefristeten Vertrags und 12 auf der Grundlage eines befristeten Vertrags. Zwischen dem 16. und dem 26. September 2013 nahm Gestora zehn einzelne, auf objektive Gründe gestützte Entlassungen vor, von denen eine Herrn Cristian Pujante Rivera betraf. In den 90 Tagen vor und nach der letzten dieser Entlassungen aus objektiven Gründen erfolgten außerdem 27 andere Vertragsbeendigungen, die auf verschiedenen Gründen beruhten (wie z. B. Vertragsablauf oder freiwilliges Ausscheiden der Arbeitnehmer). Eine dieser Vertragsbeendigungen betraf eine Arbeitnehmerin, die einer Vertragsaufhebung zustimmte, nachdem ihr eine Änderung ihrer Arbeitsbedingungen mitgeteilt worden war (nämlich eine Kürzung ihres Festgehalts um 25 % aus denselben objektiven Gründen, die in den anderen, zwischen dem 16. und 26. September 2013 erfolgten Vertragsbeendigungen geltend gemacht worden waren). Später erkannte Gestora an, dass die der Arbeitnehmerin mitgeteilten Änderungen des Arbeitsvertrags über die nach spanischem Recht zulässigen wesentlichen Änderungen der Arbeitsbedingungen hinausgegangen waren, und stimmte der Zahlung einer Abfindung an die Arbeitnehmerin zu.
Herr Pujante Rivera erhob Klage beim Juzgado de lo Social n° 33 de Barcelona (Arbeitsgericht Barcelona Nr. 33, Spanien) gegen Gestora und den Fondo de Garantía Salarial (Lohngarantiefonds), da Gestora seiner Ansicht nach das Verfahren für eine Massenentlassung hätte durchführen müssen. Würden die Vertragsbeendigungen berücksichtigt, die innerhalb des Zeitraums von 90 Tagen vor bis 90 Tage nach seiner eigenen Entlassung erfolgt seien, sei die im spanischen Recht vorgesehene numerische Schwelle erreicht, da alle anderen Vertragsbeendigungen - abgesehen von den (fünf) freiwilligen - Entlassungen oder diesen gleichzustellende Vertragsbeendigungen seien.

Das nationale Gericht stellt dem Gerichtshof mehrere Fragen nach der Auslegung der Richtlinie. Mit seinem Urteil vom heutigen Tag hat der Gerichtshof erklärt, dass Arbeitnehmer mit einem für eine bestimmte Zeit oder Tätigkeit geschlossenen Vertrag zu den Arbeitnehmern gehören, die im Sinne dieser Richtlinie „in der Regel“ in dem betreffenden Betrieb beschäftigt sind.
Andernfalls bestünde die Gefahr, dass der Gesamtheit der von diesem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer die ihnen durch die Richtlinie eingeräumten Rechte vorenthalten würden, was die praktische Wirksamkeit dieser Richtlinie beeinträchtigen würde. Der Gerichtshof weist jedoch darauf hin, dass Arbeitnehmer, deren Verträge durch regulären Ablauf enden, im Hinblick auf die Feststellung, ob eine „Massenentlassung“ im Sinne der Richtlinie vorliegt, nicht zu berücksichtigen sind.

Gerichtshof führt weiter aus, dass im Hinblick auf die Feststellung, ob eine „Massenentlassung“ im Sinne der Richtlinie vorliegt, die Voraussetzung, dass die Zahl der Entlassungen mindestens fünf beträgt, sich nicht auf Beendigungen des Arbeitsvertrags bezieht, die einer Entlassung gleichgestellt werden, sondern nur auf Entlassungen im eigentlichen Sinne. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut der Richtlinie, und jede andere Auslegung, bei der der Anwendungsbereich der Richtlinie erweitert oder eingeschränkt würde, hätte zur Folge, dass die fragliche Voraussetzung, nämlich dass „die Zahl der Entlassungen mindestens 5 beträgt“, jede praktische Wirksamkeit verlöre.
Schließlich stellt der Gerichtshof außerdem fest, dass es unter den Begriff „Entlassung“ im Sinne der Richtlinie fällt, wenn ein Arbeitgeber einseitig und zu Lasten des Arbeitnehmers aus nicht in dessen Person liegenden Gründen eine erhebliche Änderung der wesentlichen Bestandteile des Arbeitsvertrags vornimmt. Der Gerichtshof weist darauf hin, dass Entlassungen durch die fehlende Zustimmung des Arbeitnehmers gekennzeichnet sind. In der vorliegenden Rechtssache beruht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Arbeitnehmerin, die einer Vertragsaufhebung zugestimmt hat, darauf, dass der Arbeitgeber aus nicht in der Person der Arbeitnehmerin liegenden Gründen einen wesentlichen Bestandteil des Arbeitsvertrags einseitig abgeändert hat. Diese Beendigung stellt daher eine Entlassung dar. Denn zum einen darf der Begriff der Entlassung in Anbetracht der Zielsetzung der Richtlinie, die insbesondere den Schutz der Arbeitnehmer bei Massenentlassungen verstärken soll, nicht eng ausgelegt werden.
Zum anderen besteht das Ziel der Harmonisierung der Rechtsvorschriften über Massenentlassungen darin, einen vergleichbaren Schutz der Rechte der Arbeitnehmer in den verschiedenen Mitgliedstaaten zu gewährleisten und die für die Unternehmen in der Union mit diesen Schutzvorschriften verbundenen Belastungen einander anzugleichen. Der Schutz und die Rechte, die den Arbeitnehmern nach dieser Richtlinie zukommen, sind unmittelbar an den Begriff der Entlassung geknüpft. Dieser Begriff wirkt sich damit direkt auf die mit dem Schutz der Arbeitnehmer verbundenen Belastungen aus. Daher würde jede nationale Regelung oder Auslegung dieses Begriffs, die darauf hinausliefe, dass die Kündigung des Arbeitsvertrags in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens keine Entlassung im Sinne der Richtlinie wäre, deren Anwendungsbereich verändern und ihr damit ihre volle Wirksamkeit nehmen.


EuGH, 11.11.2015 - Az: C-422/14

Quelle: PM des EuGH

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